Rechtstipp - Juli 2017

Gericht erkennt höheren Grad der Behinderung zu als vom medizinischen Sachverständigen angenommen

Das beklagte Land akzeptierte nicht, dass es seit jeher richterliche Aufgabe ist, den Grad der Behinderung zu bemessen. Das Landessozialgericht (LSG) wich insoweit von der Feststellung des Sachverständigen ab. Deshalb kam es zur Entscheidung in der weiteren Instanz durch das Bundessozialgericht (BSG).

 

Der Fall:  

Bei dem 2004 geborenen Kläger war wegen einer angeborenen Knorpelerkrankung mit Wachstumsstörung unter anderem zunächst ein GdB von 50 festgestellt worden. Die Neufeststellung eines GdB von 80 lehnte das beklagte Land ab. Im anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren in erster Instanz erkannte das beklagte Land einen GdB von 60 an. Die darüber hinausgehende Klage wies das Sozialgericht mit Urteil vom 08.04.2014 ab. Im Berufungsverfahren holte das Landessozialgericht ein medizinisches Gutachten ein, das die Funktionseinschränkungen des Klägers mit einem GdB von 70 bewertete. Daraufhin erklärte sich das beklagte Land zu einem Teilanerkenntnis über einen GdB von 70 bereit. Der Kläger verfolgte seinen Antrag weiter. Das Landessozialgericht gab dem Kläger Recht und führte zur Begründung unter anderem Folgendes aus: Entgegen dem Sachverständigengutachten sei für die Bewertung der Funktionseinschränkungen nicht der von dem Gutachter in Bezug genommene Teil B der Versorgungsmedizinverordnung für die Bewertung einschlägig, weil dieser Anwendungsbereich auf kleinwüchsige Erwachsene beschränkt sei. Bei dem elfjährigen Kläger sei der GdB stattdessen unter Beachtung der besonderen Gegebenheiten nach Teil A der Versorgungsmedizinverordnung zu bemessen. Wesentlich sei, dass der Kläger im Vergleich zu seinen nicht behinderten Altersgenossen in seinem Gehvermögen und seiner Mobilität besonders betroffen sei. Allein für die Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen sei ein GdB von 80 festzustellen (Urteil vom 03.09.2015).

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts:

Das beklagte Land gab sich mit der Entscheidung des LSG nicht zufrieden und wandte sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG an das Bundessozialgericht. Es rügte die Verletzung rechtlichen Gehörs. Das Bundessozialgericht hielt die Nichtzulassungsbeschwerde bereits für unzulässig, da die Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügte. Ein Verfahrensmangel sei nicht hinreichend vorgetragen worden. Bei dem Urteil des Landessozialgerichts habe es sich auch nicht um eine Überraschungsentscheidung gehandelt. Das Prozessgericht sei nicht verpflichtet, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern. Etwas anderes gelte nur, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen (rechtlichen) Gesichtspunkt stütze, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauche. Die Bemessung des GdB sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen seien die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden. Der Beklagte wende sich gegen die Beweiswürdigung durch das Landessozialgericht, die mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht überprüfbar sei.

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